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Aktive Prävention durch Kraft- und Koordinationstraining
16. Dezember 2015
von Dr. med. Martin Pitzer
Insbesondere auf die positiven Effekte von Krafttraining bei Übergewicht und Metabolischem Syndrom, chronischen Rückenschmerzen und in der Osteoporose-Prophylaxe möchte ich näher eingehen.
Auswirkungen regelmäßigen Krafttrainings auf den Körper
Regelmäßiges Krafttraining führt zu vielfältigen Anpassungen in unserem Körper. Das zentrale Nervensystem steuert die Muskulatur anders an, was zu einer besseren Koordination zwischen den einzelnen Muskeln und auch zwischen den Muskelfasern innerhalb eines Muskels führt. Im Muskel selbst erhöht sich die Zahl der Mitochondrien, unserer „Zellkraftwerke“, die für die aerobe Energiebereitstellung in unseren Muskeln verantwortlich sind. Auch die Zusammensetzung der Muskelfasertypen – es gibt verschiedene Muskelfasern die u.a. eher für Schnellkraft, Kraftausdauer oder Ausdauer konzipiert sind – kann sich je nach langfristiger Beanspruchung ändern. Schließlich erhöht sich durch das Muskeltraining die maximale Kraft und es kann zu einer Vergrößerung des Muskelquerschnitts (Hypertrophie) kommen.
Präventivmedizinischer Nutzen bei Übergewicht und metabolischem Syndrom
Diese Anpassungen in Stoffwechsel (Metabolismus) und Struktur der Muskelzelle führen auch zu Verbesserungen der Insulinwirkung im Muskel. Dies ist vor allem bei Menschen mit sogenanntem Metabolischen Syndrom nützlich, da eine Insulinresistenz die entscheidende pathophysiologische Ursache dieses Wohlstand-Syndroms darstellt.
Dr. med. Martin Pitzer
Facharzt für Innere und Arbeitsmedizin, Pneumologe und Allergologe
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Grundproblem beim Metabolischen Syndrom, für das oft auch eine genetische Disposition vorliegt, sind Bewegungsmangel und ungünstige Ernährungsgewohnheiten, die zu Übergewicht mit Vermehrung des für den Stoffwechsel ungünstigen innenliegenden Bauchfetts führen. Dieses führt durch eine nachlassende Insulinwirkung (Insulinresistenz) unter anderem zu einer Zuckerstoffwechselstörung (Diabetes mellitus Typ 2). Studien haben gezeigt, dass Lebensstilinterventionen (vermehrte körperliche Aktivität, Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten) die medikamentöse Behandlung dieser Zuckerstoffwechselstörung um Jahre hinauszögern oder sogar ganz verhindern können.
Dabei lag der Fokus bei der Bewegung lange Zeit nur auf dem aeroben Ausdauertraining (z.B. Walking, Joggen, Fahrradfahren). Inzwischen haben Studien gezeigt, dass auch regelmäßiges Krafttraining bei Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes hinsichtlich der Stoffwechselführung und der klinischen Folgeprobleme einen ähnlichen Effekt hat. Erfreulich ist, dass sich eine Kombination von Kraft- und Ausdauertraining sogar besonders positiv auswirkt, da hier offensichtlich synergistische Effekte bestehen. Entsprechend weisen auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die American Diabetes Association (ADA) inzwischen verstärkt auf die Bedeutung des Krafttrainings in der therapeutischen Intervention bei Typ-2-Diabetes hin. Um die Insulinresistenz zu verbessern, sollte möglichst dreimal in der Woche trainiert werden, wobei das Training alle großen Muskelgruppen betreffen sollte und moderate bis höhere Intensitäten (60 bis 80% der Maximalkraft) günstig sind. Obwohl die Reduzierung des Körpergewichts beim Krafttraining durch die Zunahme an Muskelmasse weniger ausgeprägt ist, ist der Effekt auf die Insulinresistenz mit dem eines aeroben Ausdauertrainings vergleichbar. Auch weitere Risikofaktoren für Herz- und Gefäßkrankheiten werden durch das Krafttraining verbessert, u.a. sinkt der Blutdruck und durch die niedrigeren Insulinspiegel verbessert sich die Fettverbrennung.
Krafttraining hilft auch bei chronischen Rückenproblemen
Ein anderes häufiges Problem in unserer Zivilisationsgesellschaft sind chronische Rückenschmerzen, die durch einen bewegungsarmen Lebensstil und häufige Zwangshaltungen (z.B. Bildschirmarbeit) begünstigt werden. Auch hier haben Studien gezeigt, dass durch ein apparatives Krafttraining über sechs Monate eine Reduktion des Schmerzes und der im Alltag erlebten Beeinträchtigungen erreicht werden konnte. Dabei war bereits ein sehr moderater Trainingsaufwand mit Übungen zur Muskelkräftigung und Rumpfstabilisierung ausreichend. Verbesserungen konnten bereits durch sechs Trainingseinheiten à 30 Minuten pro Monat erreicht werden.
Krafttraining und Osteoporose-Prophylaxe
Im Alter und bei Frauen insbesondere nach der letzten Monatsblutung (Menopause) nimmt die Knochenmasse kontinuierlich ab. Doch diese Abnahme ist nicht unaufhaltsam und nicht unwiderruflich. Knochengewebe besitzt die Fähigkeit zur Anpassung. Mechanische Belastungen wirken sich auf den Knochenstoffwechsel aus und führen zur Anpassung von Knochenmasse und -struktur. Schon lange ist bekannt, dass längere Entlastung durch Immobilisation (z.B. Bettruhe) oder Schwerelosigkeit zu einem Verlust an Knochenmasse führt. Inzwischen ist auch durch Studien belegt, dass gesteigerte Beanspruchung das Gegenteil bewirkt. Krafttraining mit 60 bis 80% der Maximalkraft zweimal pro Woche führt zu einer Steigerung der Knochenfestigkeit und -masse. Den gleichen Effekt haben gewichtstragende Belastungen mit Sprüngen und Richtungswechsel (z.B. Sportspiele). Ausdauersport (z.B. Walking, Jogging) hat hier eher geringe bzw. gewichtsneutraler Ausdauersport (Radfahren, Schwimmen) keine Auswirkungen.
Verbesserung der Koordination
Mit zunehmendem Alter steigt die Sturzgefahr. Bis zu 35% der über 65-jährigen und 50% der über 80-jährigen stürzen mindestens einmal pro Jahr, wodurch oft eine gesundheitliche Abwärtsspirale in Gang gesetzt wird. Krafttraining führt zu einer höheren Bewegungssicherheit und ermöglicht in Grenzsituationen (z.B. Sturzgefahr) adäquate Reaktionen.
Selbst bei Kindern ist heute schon häufig ein Defizit an koordinativen Fähigkeiten zu beobachten. Ein spezielles Koordinationstraining ist in Ergänzung zum Krafttraining für alle sinnvoll. Dysbalancen und Fehlbelastungen sind häufig ein Grund für Beschwerden von Seiten des Bewegungsapparates. Beim Sport führt eine bessere Bewegungskoordination zu einer Ökonomisierung der Bewegung, wodurch die Leistungsfähigkeit erhöht und eine vorzeitige Ermüdung (Verletzungsgefahr!) verhindert werden kann.
Wir haben daher bei unseren Check-up auch einen Körperstabilitätstest vorgesehen, der das koordinative Zusammenspiel von Gehirn, Nervenbahnen und Muskulatur überprüft und Koordinationsdefizite und Seitenunterschiede aufdeckt. Erkannte Probleme können durch Übungen beseitigt werden. Ein Koordinationstraining kann ohne großen Aufwand in den Alltag (z.B. Einbeinstand beim Zähneputzen) oder auch in ein Kraft- oder Ausdauer¬training eingebaut werden. In jedem Fitnessstudio finden sich Wackelkissen und -bretter, ein Trampolin oder Pezzibälle. Auch spielerisch kann man das Gleichgewichtsvermögen beim Seilspringen, Slackline oder dem Balancieren auf einem Balken trainieren.
Formen und Aufbau des Krafttrainings
Es gibt viele Möglichkeiten für ein sinnvolles Krafttraining. Eine umfassende Darstellung würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Außerdem ist eine individuelle Anpassung an die Situation des Einzelnen wünschenswert, die beispielsweise Vorerfahrung und Beschwerden berücksichtigen sollte. Im Fitnessstudio kann man sich durch einen erfahrenen Trainer seinen persönlichen Trainingsplan aufstellen lassen. Insbesondere bei vorbestehenden Erkrankungen und Beschwerden ist oft der Rat des Physiotherapeuten hilfreich.
Krafttraining im Gesundheitssport ist normalerweise dynamisches Krafttraining, das heißt die Muskellänge variiert im Gegensatz zum isometrischen Training. Einsteiger üben am einfachsten an Trainingsgeräten, da dort die Bewegung geführt ist und eine relativ exakte Dosierung der Belastung möglich ist. Alternativen sind für Trainingserfahrene Übungen mit freien Gewichten, Gummibändern oder gegen das eigene Körpergewicht, die höhere Anforderungen an die Koordinationsfähigkeit stellen. Der Vorteil von Übungen ohne Geräte ist, dass sie im Heimtraining ohne großen Aufwand umsetzbar sind. Der Anfänger sollte mit relativ wenig Kraftintensität und 12 bis 15 Wiederholungen beginnen, wobei durch drei Durchgänge optimale Trainingseffekte erreicht werden. Zu Beginn haben drei Trainingseinheiten pro Woche den größten Effekt. Durch ein zweimaliges Training werden aber immer noch 75% des möglichen Trainingsgewinns erreicht. Wünschenswert ist dabei, dass jeweils entgegengesetzt wirkenden Muskelgruppen (Agonisten und Antagonisten) trainiert werden, außerdem sollte das Training durch entsprechende Dehnungsübungen ergänzt werden. Später kann man dann zunächst in ein Kraftausdauertraining (höhere Intensität und höhere Wiederholungszahlen pro Satz) einsteigen und schließlich ein Muskelaufbautraining (Hypertrophietraining) mit weniger Wiederholungen und noch höherer Last durchführen.
Letztlich gilt für das Krafttraining das Gleiche wie für ein wirksames Ausdauertraining: Regelmäßigkeit ist für den Trainingseffekt entscheidend. Außerdem sollte man immer wieder Abwechslungen einbauen, um neue Reize zu setzen und den Spaß am Training zu erhalten.